Besessenheit, in unmöglichen Farben

in: Filmbulletin #3 (2016), S. 16-17 ///

outcastUnd dann, als er schon hatte gehen wollen, dreht er sich doch einmal um, schaut zurück und jetzt erst sieht er sie, die Andern, die an der Tankstelle stehen und ihn anstarren, Nachts, in Neonlicht und Regen. Das Grauen kommt näher. Es ist schon da. Um mich herum.
„Unermesslicher und endloser Zerfall“ so heisst der zweite Band in der Comic-Reihe „Outcast“ in welchem diese Szene auftaucht und sie zeigt exemplarisch, wie unermesslich der vom Titel versprochene Zerfall ist: Die Zerrüttung ist nicht nur physischer, sondern auch psychischer Natur und sie beschränkt sich nicht auf einen allein. Sie ist ansteckend. Und sich überträgt sich auch von den Leser.
Eine Horrorgeschichte, die wirklich Angst macht, wollte Robert Kirkman erzählen, den man sonst vor allem für seine Comic-Reihe „The Walking Dead“ (und der darauf basierenden Fernsehserie) kennt. Doch während sich in „The Walking Dead“ die Bedrohung im Aussen verkörpert und in den, durch eine post-apokalyptische Landschaft marodierenden Zombies, steckt sie in „Outcast“ im eigenen Körper drin und in den Zimmern eben jenes Hauses, in dem man aufgewachsen ist.
Seitdem er erlebt hat, wie offenbar durch seine Gewalt die Besessenheit aus dem Körper seiner Mutter fuhr, als schwarzer, zäher Schmutz, hat Kyle Barnes das Schlafzimmer, in dem dies geschah, nie mehr betreten. Das traumatische Erlebnis und seine rätselhafte Beteiligung daran, hat Kyle zum Ausgestossenen gemacht, zum „Outcast“. Da bittet ihn ein Priester, der sich vergeblich darum bemüht, einen kleinen Jungen von einem Dämon zu befreien, um Hilfe beim Exorzieren. Doch bald setzt die Erkenntnis ein, dass offenbar viel mehr Menschen besessen sind, als der Priester bisher ahnte und dass jene, die er glaubte, gerettet zu haben, sich in Wahrheit nur abgefunden haben, mit dem Dämon in ihrem Innern.
Während die mittlerweile über mehr als 150 Hefte sich erstreckende Serie “The Walking Dead“, der seriellen Logik endloser Fortsetzbarkeit gehorcht, herrscht im Gegensatz dazu im kammerspielartigen „ Outcast“ erstickende Klaustrophobie. Die Erzählung expandiert nicht, sie verdichtet sich vielmehr laufend, indem sie immer weitere Schichten der Figuren aufdeckt, so als würde man eine Zwiebel schälen. Zu dieser Technik der Verdichtung passt denn auch, dass selbst der Teufel, gegen den unsere beiden Exorzisten anzukämpfen haben, nicht etwa aus einem ominösen Jenseits heraus agiert, sondern sich ebenfalls in unmittelbarer Nähe aufhält: als unheimlich lächelnder Nachbar gleich im Haus gegenüber.
Dass sich diese beengende Atmosphäre so virtuos auf den Leser überträgt, hängt indes nur zum Teil an Kirkmans verdichtetem Skript, sondern besonders an den Zeichnungen des noch verhältnismässig wenig bekannten Paul Azaceta. Seine verschatteten Bildpanels mit ihren obskuren Räumen und verdeckten Gesichtern, von denen man manchmal nur ihr Grinsen sieht, ähneln jenen Blick der Kinder, wenn sie im Dunkel des Kinderzimmers Gestalten zu erkennen glauben. Und immer wieder legt Azaceta über die Bildpanels einer Seite, weitere, kleine Bildfenster, die wie Grossaufnahmen im Film expressive Details ausschneiden: ein heimlicher Seitenblick, ein Schmutzfleck auf dem Tisch, eine ausgestreckte Hand, ein zusammengekniffener Mund. So imitiert die Seitengestaltung, in der noch winzigste Gesten schmerzhaft scharf hervorgehoben werden, jene Hypersensibilität, unter der auch die Besessenen leiden und weswegen sie sich nicht von Kyle berühren lassen wollen. Der Teufel steckt im Detail und dessen Bild. Die Blitzbilder, welche zwischen den Panels auftauchen, sind nichts anderes als eine ins Visuelle übertragene Heimsuchung. Nicht umsonst hat Paul Azaceta auf William Friedkins Film „The Exorcist“, als eine der (offensichtlichen) Inspirationen für die Gestaltung von „Outcast“ hingewiesen. Auch Friedkins Film inszeniert die Heimsuchung des Teufels als eine, die auch vor der Inszenierung selbst nicht halt macht: Immer wieder wird der Film von Flash Frames mit der Fratze eines Dämons durchzuckt, grad so, als seien nicht nur die Filmfiguren, sondern das Medium selbst vom Teufel besessen.
Das vielleicht aber überragendste Element aber bei der Kreation dieser einzigartigen, beunruhigenden Atmosphäre von „Outcast“ stammt indes von einer Künstlerin, die leider nicht mal auf den Buchdeckeln des Comics erwähnt wird. Die Koloristin Elizabeth Breitweiser malt diese erstickende Welt in merkwürdig verschobenen, gleichsam kranken, verwesenden Farben aus, die einen vielleicht an jene unmöglichen Farben erinnern könnten, wie sie H.P. Lovecraft in „The Colour Out of Space“ beschreibt: „Keine vernünftigen, gesunden Farben waren zu sehen, ausser am Gras und den Blättern der Bäume; aber überall fanden sich diese hektischen, prismatischen Varianten eines zugrundeliegenden, krankhaften Farbtons, die nicht der Skala der auf der Erde vorkommenden Färbungen angehörten.“ Breitweisers aussergewöhnliche Farben sind es denn auch, die einem wohl als erstes ins Auge stechen, wer in „Outcast“ blättert und sie sind es zugleich auch, die den Leser noch am längsten verfolgen.
Nicht zuletzt wegen diesem besonderen Look von dem die Comic-Reihe vor allem lebt, stimmt einen die Aussicht eher skeptisch, dass, wie zuvor schon aus „The Walking Dead, auch aus „Outcast“ eine Fernsehserie gemacht wird (Start am 3. Juni, 2016 auf Cinemax). Was an Trailern von dieser Serie bislang zu sehen war, mutet in seiner Bildgestaltung erschütternd konventionell an. Von Besessenheit war dort jedenfalls kaum etwas zu spüren.

Johannes Binotto
Robert Kirkman, Paul Azaceta: „Outcast 1: Im Reich der Finsternis“, Hardcover,160 Seiten, Cross Cult Verlag, ISBN 978-3-86425-667-1

Robert Kirkman, Paul Azaceta: „Outcast 2: Unermesslicher und endloser Zerfall“, Hardcover,160 Seiten, Cross Cult Verlag, ISBN 978-3-86425-805-3

Band 3 erscheint am 29.08.2016.