TAT ORT BILD. Dario Argento und die Unheimlichkeit des Raums.

Filmbulletin 1.05 (Februar 2005), S. 47-55 ✺

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Auszug: … Jede Fragmentierung wiederholt nur jene grundlegendste: den einfachen Schnitt durch einen homogenen Raum. Dieser erste Schnitt ist die primäre Organisation, die erste Strukturierung des Raumes. Er definiert in einem Zug ein Hier und ein Dort, ein Innen und Aussen. Diese grundsätzliche Unterscheidung von Innen und Aussen ist nicht nur in architektonischer Hinsicht fundamental. Sie konstituiert zugleich Subjekt und Objekt; als Positionen im Raum und als Seinsweisen. Wo sich aber diese räumliche Unterscheidung verwischt, steht folglich auch das Subjekt selbst auf dem Spiel. Der Umschlag vom Innen ins Aussen und umgekehrt ist tödlich in einem radikalen Sinne – er vernichtet das Subjekt (zusammen mit den Objekten).

Die Schlafwandlerin in Argentos «Phenomena», die auf einem Sims stehend in ein leeres Zimmer hineinblickt, verbildlicht diesen Umschlag. Wie in einem Bild von Magritte ist sich der Zuschauer für einen Moment in der Unterscheidung zwischen Innen und Aussen unklar. In dieser Verunsicherung implodiert die Leere des Zimmers, ein blutüberströmtes Mädchen stürzt herein, fällt mit dem Gesicht durchs Fenster. Ein Dolch bricht durch ihren Kopf, ragt aus ihrem im Schmerz aufgerissenen Mund. Das Innen quillt nach draussen.

«Interiora» steht auf der Wand eines Ganges geschrieben, welchen die Protagonistin aus «Suspiria» im geheimen Innern der Tanzschule aufgespürt hat. Doch in diesem tiefsten Inneren ist die junge Tänzerin zugleich in der absoluten Fremde. «Das innere Ausland» hat Freud das Unbewusste genannt und damit klargemacht, dass die Topik der Psyche in einer äusseren Topologie zu finden sei. Auch Freuds Begriff des Unheimlichen ist in diesem Sinne ein architektonischer Begriff, in dem er auf das vertraute «Heim» verweist, welches im Unheimlich steckt. Das Unheimliche ist jenes bange Zwischenreich zwischen vertraut und unvertraut. Im Heim sich fremd fühlen, im Fremden die Spuren des Heims entdecken, das ist das Erlebnis des Unheimlichen. Innen und Aussen vermischen sich und so steht über dem Wort «Interiora» noch ein anderes an die Wand jenes Ganges geschrieben: «Metamorphosis» – die Verwandlung von «Interiora» in «Exteriora», von Heim in Fremde und umgekehrt.

Und schliesslich ist die Unterscheidung zwischen Innen und Aussen, auch die Trennung zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenen. Somit wird mit der Metamorphose vom einen ins andere auch unser Status als Zuschauer fragil. Auf ebenso schreckliche, wie unübertroffene Weise verhandelt Argento eben diesen Status des Betrachters in seinem Film «Opera». Eine Opernsängerin wird von einem Serienmörder verfolgt, doch statt sie zu töten, bindet und knebelt er sie und klebt ihr Nadeln unter die Augen. Unfähig den Blick abzuwenden mordet er vor ihren Augen und für ihre Augen. In den Glaskasten eines Nähateliers gestellt, ähnelt sie den Ausstellungspuppen in den anderen Kästen. Die Sängerin ist angeschautes Austellungsstück und schauendes Publikum des Mordes zugleich. Der Tatort ist hier ein Schau-Platz im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Ort, wo sie Blicke pervertieren, das heisst: verdrehen.

Wo das Schauen und das Angeschautwerden, Innen und Aussen ineinander kippen. Diese Ambivalenz betrifft auch uns Zuschauer, denn wie die Sängerin sind auch wir zugleich Opfer und Geniessende der Tat. Für den Zuschauer finden die blutigen Morde auf der Leinwand statt. «Die Kamera nimmt mein Auge mit. Ich bin umzingelt von den Gestalten des Films und verwickelt in seine Handlung, die ich von allen Seiten sehe» schreibt Béla Balázs. Und so müssen wir in «Opera» zusehen wie eben unser mitgenommenes Auge attackiert wird. Schrecklicher und perfider noch, als das zerschnittene Auge in Buñuels «Un chien andalu». Der Blick in die von Nadeln bedrohten Augen der Sängerin ist ein grässlicher Blick in den Spiegel; ein Blick auf unser ambivalentes Verhältnis zu dem, was da vor uns geschieht. Verängstigt schlagen wir die Hände vors Gesicht und schauen trotzdem durch die Finger hindurch. Halb drinnen und nicht ganz draussen…

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