Die Drehungen der Schraube – Zu Jacques Tourneurs „Out of the Past“

Filmbulletin #5 (2017), S 58-59 ///

„The past is never dead. It’s not even past“ heisst es in William Faulkners „Requiem for a Nun“. Und so lautet auch die Losung des film noir. Die Vergangenheit lässt man nie hinter sich, sie kommt wieder – im Kreis und vom einen Ende des Kontinents zum andern, von New York City nach Bridgeport, California. Dort hat sich der ehemalige Privatdetektiv Jeff Bailey eine Autowerkstatt und ein neues Leben eingerichtet, fernab von den dreckigen Geschäften, in die er einst verwickelt worden war. Und doch steht eines Tages vor eben dieser Garage der Handlanger jenes Gangsters, vor dem Jeff sich so lange erfolgreich versteckt hatte: Zurück aus der Vergangenheit – der Filmtitel war eine Warnung gewesen. Erst sieben Minuten von Jacques Tourneurs „Out of the Past“ sind vorbei, als es zu dieser Begegnung zwischen Protagonist und Widersacher kommt und wer alles über die Meisterschaft dieses Regisseurs wissen möchte, der braucht nur während der nächsten zwei Minuten ganz genau hinzuschauen.

Der Mann aus der Vergangenheit im schwarzen Hut und Mantel wartet, als aus der Tiefe des Bildes Jeff auf ihn zukommt. Die beiden beginnen zu sprechen. Im Hintergrund aber sehen wir Jeffs Freund, den tauben, namenlosen Jungen, den alle nur „The Kid“ nennen, wie er bei einem Wagen kniet und mit seinem Kreuzschlüssel an den Muttern des Autorades dreht. Und eben darum geht es in diesem Film: wie Schrauben angezogen werden und Menschen dabei in die Klemme geraten. Zusammen mit der wiederkehrenden Vergangenheit dreht sich die Schraube des Schicksals, bis man nicht mehr freikommt.

Um freilich zu begreifen, wie sehr dies in diesem Film nicht nur narratives Prinzip, sondern auch visuelle Logik ist, lohnt es sich, wenn auch wir Zuschauer so wie der Junge taub werden und uns, statt auf Gesagtes, auf das Gezeigte konzentrieren. Wer sich „Out of the Past“ wieder anschaut, soll darum am besten mal den Ton in dieser Szene wegdrehen oder sich zumindest die Ohren zuhalten. Wer den akustischen Bericht ausschaltet, erkennt so nämlich nur genauer, was Tourneurs Einstellungen eigentlich schon alles erzählen. Der Dialog zwischen Jeff und dem Gangster, ist ebenso wie dessen Lächeln nur Ablenkung, darauf angelegt, harmlos zu erscheinen. Dass wir die Bedrohlichkeit der Situation gleichwohl sofort spüren, liegt hingegen an den Filmbildern selbst und an all den Zeichen, die in ihnen ausgestreut sind.

„MONO MOTOR SERVICE“ – so steht es in grossen Lettern an Jeffs Werkstatt geschrieben. Wenn er und der Mann aus der Vergangenheit sich gegenüberstehen, ist die Kamera jedoch genau so platziert, dass ein Fenster im Vordergrund ausgerechnet die ersten zwei Buchstaben verdeckt. Was bleibt ist ein grosses „NO“, genau über Jeffs Kopf. Während er Unbefangenheit markieren muss, steht die Antwort, welche Jeff seinem Gegenüber eigentlich geben möchte, aber nicht kann, bereits als Schrift an der Wand. Wie eine Gedankenblase im Comic.

Doch ein Nein wird der Gangster als Antwort nicht akzeptieren. Das „NO“ bleibt stumm, ungehört, nur wahrgenommen von uns, die wir im Bild lesen können, was die Tonspur verheimlicht. Derweil geht das Gespräch im Inneren der Werkstatt weiter und die Zeichen verdichten sich. Versonnen nimmt der Gangster eine kleine Ölkanne in die Hand, spielerisch. Und zugleich doch so, wie der Typ wohl sonst eine Knarre hält, mit dem Ausguss, bzw. Pistolenlauf auf Jeff gerichtet. Und während Jeff noch so tut, als sei er nicht aus der Ruhe zu bringen und sich stattdessen lässig an einer Werkbank anlehnt, sind allein die Bewegungen des Anderen hinterhältiger als alle Worte: Stand der Gangster anfangs zur Rechten Jeffs, geht er nun um ihn herum, lehnt sich zu seiner Linken neben ihn, doch nur um darauf wieder die Seite zu wechseln, zur Rechten zu gehen und dann wieder zur Linken und schliesslich wieder zur Rechten zurück. Dass einem dieses katzengleiche Umstreichen beim ersten Sehen nicht aufgefallen ist, kann nur daran liegen, dass man sich vom Gespräch zwischen den Figuren hatte ablenken lassen. Ohne Ton aber, gleichsam als Stummfilm betrachtet, entstellt sich die Szene sogleich zur Kenntlichkeit und die angeblich natürlichen Bewegungen der Figuren entlarven sich als jene perfide Choreographie der Bedrohung, als die sie gemeint ist. Exakt von Bildrand zu Bildrand wechselt der Gangster und mit ihm schwenkt leicht die Kamera hin und her und beteiligt sich damit an der Umzingelung unseres Helden. Ob links oder rechts: immer steht der Gegner im Weg und macht die Ränder des Bildkaders dicht. Die Kadrage nimmt vorweg, was der Film im Folgenden beweisen wird: Hier kommst Du nicht mehr raus!

„Getting framed“ – so sagt man im Amerikanischen, wenn man jemanden reinlegt. Wörtlich aber heisst es: „eingerahmt werden“. Und in eben dieser Doppeldeutigkeit ist auch die präzise Kadrierung von „Out of the Past“ zu lesen, als Allegorie jener Fallen, in welche die Figuren tappen. „I think I’m in a frame“ wird Jeff später tatsächlich im Verlauf des Films zu einem Taxifahrer sagen. Er meint es metaphorisch und ahnt nicht, dass er damit auch die Bildgestaltung eben jenes Films zu kommentieren scheint, in dem er immer schon rettungslos festsass. Eben das ist es, was bereits das Gespräch mit dem Gangster aus der Vergangenheit mit seiner Inszenierung vorgeführt hatte: wie man umkreist, eingerahmt und visuell in die Zange genommen wird. Die Bildränder ziehen sich zusammen, wie ein Schraubstock. Hatte André Bazin über die Ränder des Filmbildes nicht folgendes geschrieben? „Die Umgrenzung der Kinoleinwand ist kein „Rahmen“ des Kinobildes, wie die technischen Begriffe manchmal glauben machen, sondern ein Kasch, eine Abdeckung, die nur einen Teil der Realität freilegen kann. Der Rahmen polarisiert den Raum nach innen, hingegen ist alles, was die Leinwand uns zeigt, darauf angelegt, sich unbegrenzt ins Universum fortzusetzen. Der Rahmen ist zentripetal, die Leinwand zentrifugal.“

Der Anfang von „Out of the Past“ aber erzählt etwas anderes. Mag sonst im Kino das Filmbild zentrifugal in ein Ausserhalb drängen, so sind in Tourneurs film noir sämtliche Auswege abgeschnitten. Der Rand der Leinwand ist ein Rahmen, aus dem man nicht ausbrechen kann. „I think I’m in a frame.“ Statt aus dem Bild hinaus, schraubt sich nur alles immer tiefer und unentrinnbarer ins Bild hinein. Nichts führt wohin, alles dreht sich: der Gangster um sein Opfer und die Vergangenheit um sich selbst, bis zum Kollaps. Und wie in einer Miniatur steckt all das bereits in diesen unscheinbaren zwei Minuten drin. Auch wenn wir zu dem Zeitpunkt meinen, es gäbe noch Hoffnung für Jeff, hat uns die Szene doch eigentlich schon gezeigt, wie übel alles herauskommen wird. Wenn am Ende des Gesprächs der Gangster davon geht, läuft auch er nicht aus dem Bild hinaus, sondern in dessen Tiefe hinein, dorthin, von wo Jeff einst gekommen ist. Dieser aber bleibt zurück, bleibt an seine Werkbank gestützt, sitzen. Haben wir bemerkt, was für ein Gerät es ist, an das Jeff sich dabei anlehnt? Eine Bohrmaschine mit scharfem Gewinde. Eine Schraube, die sich dreht.